Spanien

Hinauf auf den Berg der Berge

Daniel Schröer

Refugio. Was eine kurze Wohltat, nach unfassbar anstrengenden Stunden endlich dort oben anzukommen, auf 3260 Metern Höhe, mit bereits 900 Höhenmetern in den Beinen. Schade nur, dass zwar eine kurze Rast möglich, der Weg aber noch nicht beendet war. Wo? Na, im Refugion de Altavista, dem einzigen „Traveller´s Rest“ auf Teneriffas Königswanderweg hoch zum Teide. Acht Jahre war mein letzter Aufstieg her und übermütig, wie ich nun mal bin, dachte ich am Morgen wohl so etwas wie „hoppeldihopp, nun wandern wir mal hübsch nach oben und schauen im Anschluss, was der Tag noch so bringt“. Weit gefehlt, liebe Freunde.


War der Einstieg an der Montaña Blanca mit dem in freundlichen Kehren aufwärts führenden Fahrweg noch völlig entspannt, hat mich der Steilanstieg in den felsigen Serpentinen wahrlich sämtlicher Kraft beraubt und zudem die Illusion gekickt, man könne alles unendlich locker wiederholen. 2007 und 2008 bin ich da schon mal hoch, jeweils in Begleitung, und es war auch in einer kritischen Rückschau nicht mal ansatzweise so anstrengend. Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern, damals Sterne gesehen zu haben – und nein, ich war diesmal nicht nachts unterwegs.

Man sagt, die Aussicht entschädigt für alles und die körperliche Belastung auf dem Weg sorgt für eine Befreiung des Gehirns, woraufhin Gedanken klarer fließen können, aber auch das kann ich für mich diesmal nur bedingt bestätigen. Klar, das Panorama war stellenweise spektakulär (doch gibt es auf der Insel schönere Aussichten) und der Kopf wurde tatsächlich von sämtlichen mich plagenden Gedanken befreit, aber eben nicht um klarer zu fließen, sondern Platz für die Überlebensmantras zu machen – „Du schaffst das“, „Schritt für Schritt“, „Nicht ausrutschen“, „Wer kam auf diese blöde Idee?“.


Nun gut, es ging voran und die Ruhe, fast Besinnlichkeit, und die Individualität hatten durchaus einigen Charme. Außerdem gab es immer mal wieder Begegnungen mit Leidensgenossen, mal fitter, manchmal tatsächlich noch fertiger als ich. Dennoch, dieser Weg ist aus meiner Sicht nicht zum Sightseeing geeignet, sondern primär zur Auslotung der eigenen körperlichen Belastbarkeit (und vielleicht als Training für die Besteigung noch höherer Berge in anderen Gegenden der Erde). Ich jedenfalls schleppte mich mit vorerst letzter Kraft in bereits angesprochenes Refugio und wiederholte ein altes Ritual: Ich zog mir erstmal eine heiße Schokolade aus dem Automaten :-)

Beim obligatorischen Foto habe ich dann zudem mein Objektiv vorerst ramponiert (es fuhr nicht mehr raus oder rein, nachdem es von der Bank fiel), konnte es aber mit der russischen Methode wieder instandsetzen (ich schlug jede Seite mit Wucht gegen ebenjene Bank und schon funktionierte alles wieder). Nach diesem aufregenden Ereignis war ein kurzes Sonnenbad eine dankbare Erholung und ließ mich die Zeit bis zur notwendigen Fortsetzung des Aufstiegs entspannt genießen.


Gemeinsam mit einigen netten Leuten unbestimmter Herkunft (sprachen sehr gut Englisch, haben untereinander aber eine mir unbekannte Sprache benutzt; Finnen?) zog ich dann wieder los, die letzten 300 Höhenmeter absolvieren, denn leider konnte ich keine Gipfelerlaubnis mehr ergattern – die sind bis Mitte Januar schon vergeben, aber dazu komme ich noch. Tatsächlich konnte ich die Jungs und Mädels auf halbem Weg hinter mir zurücklassen, obwohl ich selbst schon alles doppelt sah, aber es war wirklich an der Zeit, oben anzukommen. Nachdem ich noch einen sehr netten Wanderer aus Sachsen schwungvoll vorbeiziehen lassen durfte, waren auch mir Minuten später erst der ultimative Adrenalinstoß und dann die frustrierte Ernüchterung vergönnt.

Adrenalin deshalb, weil ich endlich da war, auf dem Plateau, welches durch ein kleines Wegenetz verknüpft auch ohne Gipfel Blicke in nahezu alle Richtungen zuließ und so für Freude und Staunen sorgte. Und natürlich, weil ich tatsächlich angekommen bin. Vielleicht fühlt sich so ein Tor vor 80000 Zuschauern an. Wirklich toll, euphorisiert und aller Schmerzen ledig (die sich dann unten auf dem Weg zurück zum Auto wieder meldeten).


Aber Frustration? Na klar, da ist man 4:14 Stunden gewandert, hat 1200 Höhenmeter in dünner werdender Luft hinter sich und wird auf dem Plateau von Flipflop-, Espandrilla- und Sandalen-Trägern weggedrängt, schräg angeschaut und fast über den Haufen gerannt. Ich habe Verständnis dafür, dass nicht jeder diesen Weg gehen kann und mit der Seilbahn hinauf fährt, aber gegenseitige Rücksichtnahme wäre echt toll. Und, noch frustrierender für mich, ich habe kein Verständnis dafür, dass diese Kurzrock-FlipFlop-Fotojunkies mir und anderen Wanderern die Permits für den Gipfel wegschnappen und somit nach ihrer 8-Minuten-Gondelfahrt die letzten 200 Meter nach oben kraxeln, um dieses unfassbar schöne Erlebnis auf der Spitze von Spaniens höchstem Berg zu haben.

Dieses Gefühl sollte den Wanderern vorbehalten sein, die diese Strapazen tatsächlich auf sich nehmen. Oder zumindest sollte man so 50-70% der Permits erst im Refugio de Altavista vergeben, denn da kommen ausschließlich Wanderer vorbei. Ich fand es äußerst enttäuschend, schon zu Urlaubsantritt keinen einzigen Slot mehr ergattern zu können, wohlgemerkt für 12 Reisetage! Vielleicht sollte man Geld verlangen (die Permits sind kostenlos, prinzipiell eine super Sache) oder Strafen vergeben, wenn sie verfallen. Denn viele Leute registrieren sich, erscheinen dann aber nicht; dennoch gibt es dann keine Chance, quasi als Ersatz einzuspringen – das hatte ich heute extra erfragt.


So wurde das in Summe ekstatische Gefühl etwas getrübt, auch wenn ich über die Seilbahn im Großen und Ganzen natürlich selbst froh war, denn einen Abstieg hätte ich heute vermutlich nicht mehr heil überstanden. Dennoch würde ich mich freuen, wenn die Inselregierung hier ihr Vorgehen nochmal überdenkt, denn was gibt es für einen Wanderer schöneres, als nach all diesen Strapazen tatsächlich auf dem Gipfel zu stehen, und mit dem Bewusstsein ins weite Rund zu blicken, dies mit den eigenen Füßen erklommen zu haben? Und auch wenn ich weiß, das andere diesen Aufstieg quasi als Spaziergang ansehen: Für mich war das eine enorme Herausforderung, die gemeistert zu haben mich ein wenig mit dem stolzen Gefühl erfüllt, Vorhaben wirklich umsetzen zu können.


Keep on rockin’

Ree

(c) Daniel Schröer

Mitglied im Deutschen

Fachjournalisten Verband